Havarie und nun? So treffen Sie Vorsorge
Auch für die EU gilt: 90 % des Außenhandels und mehr als 40 % des EU-Binnenhandels werden über Seewege abgewickelt. Seefracht ist also kein Randthema, sondern ein Kernpunkt der Logistik.
Havarien im globalen Gedächtnis
So mancher erinnert sich an den Sturm, der im Januar 2019 vor Ameland 342 Container über Bord der MSC Zoe spülte oder die OOCL Rauma, die ein Jahr später ebenfalls in der Nordsee einige Container verlor. Andere Havarien vor Neuseeland und Mauritius stehen noch vor unseren Augen.
Beeindruckende Fakten, die aber relativiert werden, wenn man bedenkt, dass nach einem Höchststand 2007 mit 171 Schiffsverlusten im Jahr 2019 nur noch 41 Schiffe weltweit sanken.
AEB hat die Experten Martin Schnoor und Philipp Dargen von der Assekuranz-Union Versicherungs-Agentur in Bremen kontaktiert. Auch Kapitän auf großer Fahrt Claas Braitsch von Maritime Service und Transport in Leer hatte im Gespräch einige Tipps parat.
Der Fall Ever Given
Havarien können für Unternehmen existenzbedrohend sein. Das zeigt sich aktuell an den Reaktionen auf die Suezkanal-Havarie. Wie hat die Weltwirtschaft reagiert, als eine der wichtigen Schlagadern plötzlich verstopft war? Bei Einzelhändlern waren die Folgen direkt sichtbar, da wichtige Angebote fehlten, aber auch im produzierenden Gewerbe standen Bänder still und es musste auf teure Ersatzprodukte ausgewichen werden.
Großhandelsunternehmen, die ihre Waren auf der Ever Given transportiert haben, müssen zu allem Überfluss jetzt noch mit einer Großen Haverei kämpfen, auch bekannt unter General Average (engl.) oder Havarie Grosse (frz.) - Was verbirgt sich dahinter?
Seit der Lex Rhodia de iactu, Gesetz von Rhodos über den Seewurf aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., kennt die Rechtsauslegung eine Gefahren- und Schadensgemeinschaft auf See. Liegt sie vor, müssen alle Kaufleute, die mit einem betroffenen Schiff transportierten, gemeinsam für den Schaden aufkommen – gleichgültig, welche Ladung im Einzelnen beschädigt wurde. Diese Tipps von Fachkollegen helfen weiter.
Möglichkeiten der Schadensbegrenzung
Wichtig ist, dass Sie bei all den Risiken, die auf einer Seefahrt drohen, immer mehrere Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung im Auge behalten: Justieren Sie hier im Vorfeld und minimieren Sie ggf. auftretende Schäden:
- Richtig und sicher seetauglich verpacken.
- Auswahl eines Fachspediteurs.
- Wahl einer passenden Lieferbedingung.
- Und last but not least: die richtige Versicherung.
Tipp 1: Risiken durch passende Versicherungen minimieren
Risiken im Seetransport werden von vielen Händlern unterschätzt und folglich werden Frachten nicht versichert, um Kosten einzusparen. Die Kosten für Versicherungen werden häufig nicht in Relation zum Risiko gesehen und daher verzichten manche Unternehmen ganz auf Versicherungen. Richtig ist, dass angesichts der immensen Mengen, die heute transportiert werden, selten Schäden entstehen. Doch die Schadenssummen im Einzelfall können dafür existenzbedrohend sein.
Tipp 2: Gefahrengemeinschaft richtig einschätzen
Ein weiteres Kostenrisiko, das oft nicht bedacht wird, rührt von der Gefahrengemeinschaft her, die auf hoher See angenommen wird und das Risiko des Einzelnen verringern soll: die Havarie Grosse.
Die Gefahrengemeinschaft bei Seesturm rechtfertigt nach der bereits erwähnten Lex Rhodia de iactu den Zugriff auf fremdes Eigentum, verlangt aber auch den gegenseitigen Schadensausgleich. Alle beteiligten Kaufleute haften in dieser Gefahren- und Schadensgemeinschaft gemeinsam. Ob diese Jahrtausende alte Regelung heute noch gelten sollte und ob diese im Zeitalter der Versicherungen überholt ist, wird diskutiert. Hier soll es aber um die Folgen gehen, die heute den Wareneigentümern drohen. Eine Übersicht über die Regelungen im Einzelnen finden Sie auf der Seite der Versicherungswirtschaft.
Wesentlicher Inhalt bis heute bleibt: Die beteiligten Kaufleute einer Seereise sollen Verlustrisiken gemeinsam tragen. Das bedeutet aber, dass im Falle einer Havarie Grosse auch die Kaufleute zur Kasse gebeten werden, die an ihrer Ware gar keinen Schaden erlitten haben, um den Schaden derer zu verringern, die einen Verlust hatten. Dieser soll dann im Verhältnis zur Gesamtschadenssumme ausgeglichen werden.
Dabei sind auch Schäden versichert, die vorsätzlich durch den Kapitän veranlasst wurden, zum Beispiel das Auf-Grund-setzen oder das Überbord-Werfen von Ladung, um ein Kentern zu verhindern. Dies sei auch der einzige Fall der Versicherungswirtschaft, bei dem vorsätzliches Verhalten eines Beteiligten versichert sei, so Martin Schnoor.
Tipp 3: Lieferbedingungen prüfen
Lieferbedingung und Versicherung hängen zusammen: Bei FCA und FOB Versendeland und ebenso bei den Klauseln CFR und CPT Bestimmungsland, ist der Käufer der Risikoträger und sollte unbedingt die Fracht versichern. Im Falle von DAP und DPU ist der Verkäufer der Träger des Frachtrisikos und sollte über eine Frachtversicherung verfügen.
Die Klauseln CIF und CIP Bestimmungsland wiederum zwingen den Verkäufer, zugunsten des Käufers eine Versicherung einzudecken. Und hier wird es jetzt interessant.
- Bei CIP ist die Sachlage noch klar: Der Verkäufer muss eine All-Risiken-Versicherung ohne Selbstbehalt über 110% des Rechnungswerts zugunsten des Käufers abschließen. Das bedeutet, dass die Versicherung grundsätzlich alle Schäden absichert – bis auf folgende Ausschlüsse: (Bürger-)Krieg, Streik, Radioaktivität, oder Beschlagnahme. Diese Schäden können aber zusätzlich auch miteingeschlossen werden.
- CIF verlangt – sofern keine besseren Konditionen vereinbart wurden – lediglich die schlechteste, standardmäßig zur Verfügung stehende Deckung: die Deckung C der Londoner Versicherungsbedingungen oder Eingeschränkte Deckung nach DTV (Deutsche Transportversicherungsbedingungen). Achten Sie daher darauf, dass bei Diebstahl und Abhandenkommen oder eindringendes Seewasser durch die Versicherung kein Ersatz geleistet wird. Bei solchen Schäden ist es, als wäre die Ware unversichert, so Philipp Dargen, Underwriter von der Assekuranz-Union.
Dass Ware auf unerklärliche Weise nicht mehr aufgefunden werden kann, ist doch recht häufig. So berichtet Martin Schnoor beispielsweise von Planenschlitzern, die oftmals systematisch LKWs öffnen und gegebenenfalls ausrauben. Allerdings weist Kapitän Claas Braitsch darauf hin, dass auf eine Versicherung verzichtet werden kann, wenn der Wert der Ware niedriger ist als die Haftung der Frachtführer. Im Straßenverkehr liegt diese beispielsweise bei ca. 10 bis 11 Euro je Kilogramm (8,33 SDR = Sonderziehungsrechte je Kilogramm), im Seeverkehr nur bei 2 SDR / kg, also je nach Wechselkurs bei gut 2,40 Euro je kg oder 666,67 SDR / Packstück. Für Weizensaat mag das ausreichen, eine Ladung Mobiltelefone ist hier unterversichert. Und Schäden aufgrund Havarie Grosse gehören nicht zum Haftungsumfang der Frachtführer.
Fazit
In Anbetracht der Tatsache, dass im Rahmen von laufenden Versicherungen die Kosten für eine Absicherung schon deutlich unter 0,5 ‰ beginnen und für Einzelversicherungen, je nach Destination und Ware hier zwar deutlich höher, aber immer noch im meist tragbaren Bereich liegen, sollten Unternehmen eine Versicherung berücksichtigen. Für einen Transport von Ware im Wert von 100.000 Euro ist also mit einer Prämie im Rahmen von unter 50 bis ca. 200 Euro zu rechnen. Bitte beachten Sie, dass diese Beträge deutlich schwanken können und hier nur einen groben Anhaltspunkt bieten. Auch Selbstbehalte senken diese Kosten noch einmal und können so dazu führen, dass zumindest existenzielle Risiken abgesichert sind.
Kalkulieren Sie daher bereits vor Vertragsabschluss die Risiken und stellen Sie durch Wahl des Incoterms sicher, wer im Schadensfall haftet. Die passenden Versicherungsmodalitäten sorgen dafür, dass Sie Ihre Existenzgrundlage nicht unnötig aufs Spiel setzen.
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